«Ohne Licht passiert nichts!» Besuch im Zürcher Atelier der Künstlerin Brigitta Malche
Peter K. Wehrli
Die Etikette der Weinflasche war mir aufgefallen: «Saint Emillon 1985». Ein Gefüge aus zwei schwarzen Dreiecken und einem Viereck war derart präzis in die Fläche eingepasst, dass sich kein Strichlein und kein Punkt und kein Farbfleck verschieben ließ, ohne dass die ganze Struktur auseinander gefallen wäre. Diese kompositorische Sicherheit verblüffte mich. Die Etikette schien in sich stimmig. Ein derartiges Kleinod bekommt man selten zu sehen. Deshalb merkte ich mir den Namen der Künstlerin auf der Etikette: Brigitta Malche. Und als ich ihr nun, manche Jahre später, in ihrer Zürcher Wohnung gegenübersaß, kam ich natürlich auf das Erlebnis mit der Weinetikette zu sprechen. Die Antwort, die sie mir gab, war nicht einfach die Antwort auf eine Interviewfrage, sie war ein Schlüssel zu ihrem Werdegang: «Die Stimmigkeit, die haben mich die Zürcher Konkreten gelehrt!» Ich war nicht darauf vorbereitet, solche Worte aus dem Mund einer gebürtigen Österreicherin zu hören. Ihr Herkommen aus einer Gegend, in der phantastischer Realismus oder der verwegene Aktionismus die Bildwelt regierte, schien eigentlich die Beschäftigung mit der geometrischen Kühle, dem Rationalismus der Zürcher Szene auszuschließen.
Künstlerin und Brückenwart Dass sie Künstlerin werden wollte, das wusste Brigitta Malche schon als Kind. Vierzehn Jahre war sie alt, als sie mit dem Velo nach Zwickledt fuhr, um dort den großen Alfred Kubin aufzusuchen. Und als sie von ihren Künstlerinnenplänen berichtete, bekam sie zu hören: «Lass die Finger von der Malerei. Das ist Gift.» Und als sich das Mädchen von derlei Warnungen nicht von ihren Absichten abbringen ließ, fügte der legendäre Meister aufmunternd bei: «Du wirst es schon durchstehen!» Durchgestanden ist es, und Brigitta Malche hat sich mittlerweile einen markanten Platz gesichert in der Kunstwelt als Brückenwart zwischen der Schweiz und Österreich. Als ob das Wiener Erbe ein Makel wäre: Als sich die junge Brigitta Malche beim berühmten Oskar Kokoschka vorstellte und erklärte, sie komme aus Wien, murmelte er: «Macht nix!» Nun vermittelt sie nicht nur ästhetische Konzepte zwischen den beiden Polen Zürich und Wien, sie stiftet auch Begegnungen, die auf beide Szenen befruchtend wirken.
Nach dem Studium an der Wiener Kunstakademie, wo sie in die Technik der alten Meister eingeweiht wurde und Kopien von Memling und Rogier van der Weyden erstellen musste, arbeitete sie sieben Jahre als Kunstgeschichtsdozentin und Zeichenlehrerin.
Weg vom Akademischen Die Schulpraxis mit ihrer Verpflichtung, künstlerische Entwicklungsstufen sinnenhaft und packend zu erläutern, führte wie selbstverständlich zur Abkehr vom strengen akademischen Dogmatismus. Als sie ihren Schülern die Gestaltungsprinzipien der russischen Konstruktivisten erklären musste, verinnerlichte sie deren Gedanken so konsequent, dass sie zur Basis ihres eigenen Denkens und Gestaltens wurden. Brigitta Malche ist Konstruktivistin geworden.
In Genf dann ergab sich der Kontakt mit Jean Baier, der verwandte ästhetische Ziele verfolgte. Er vermittelte Brigitta Malche den Kontakt zum Leiter seiner Galerie. Als sich Brigitta Malche mit – wie sie sagt – schlechten Polaroidfotos ihrer Werke dem Galeristen vorstellte, saß zufälligerweise ein sehr bekannter Zürcher Sammler, Curt Burgauer, als Besucher in der Galerie. Neugierig schaute er dem Galeristen über die Schulter, als dieser die Bilder der jungen Künstlerin begutachtete. Die Reaktion des Gastes kam unerwartet: «Das kann’s doch gar nicht geben: konstruktivistische Kunst aus Wien!» So ungewöhnlich schien ihm diese Kombination, dass er den Galeristen mit seiner Begeisterung ansteckte: 1971 kam Brigitta Malche so zu ihrer ersten Zürcher Ausstellung in der Galerie Palette. Auch der Erfolg kam überraschend. Am dritten Ausstellungstag waren alle Bilder verkauft. Der erste Käufer war niemand anders als Gustav Zumsteg, der Sammler und Besitzer der «Kronenhalle». Er war in die Galerie gekommen, um ein Bild von Leger rahmen zu lassen. Und verließ sie mit zwei Gemälden von Brigitta Malche. Und sein Beispiel wirkte als Initialzündung. Von einem Tag auf den andern, gewissermaßen, war Brigitta Malche zur anerkannten Figur in Zürichs Kunstleben geworden. Sie war in Zürich, sie war dort, wo sie mit ihrer Kunstauffassung hingehörte. «In Wien hatte ich damals überhaupt kein Brot. Die wollten so was nicht.» Hier nun erlebte sie die konstruktiven Gestaltungsprinzipien radikalisiert: Rationale Konsequenz hatte alles mythische Ahnen verdrängt. Die sinnenhafte Weihe der russischen und die vitale Spiritualität der holländischen Konstruktivisten wurden in der Zürcher Schule emotionslos systematisiert. Konzept stand über Intuition. In einer solchen Situation erhielt Brigitta Malche mit ihrem Hang zur Emotionalität der Russen eine Aufgabe: Sie «enthärtete» die Strenge des Dogmas.
Die Demokratie der Farbe In der konkreten Kunst Zürichs durfte das Bild konkreter Gegenstand sein und die Farbe ihr eigenes Thema. Dass diese radikalen Prinzipien dann etwa von Richard Paul Lohse mit sozialen Funktionen aufgeladen wurden, um gesellschaftliche Strukturen einsehbar zu machen, erhöhte für Brigitta Malche die Faszination, Teil zu sein des Zürcher Geschehens. Das Lehrstück, das an der Limmat gespielt wurde, trug den Titel «Die Demokratie der Farbe». Nach dem Dadaismus zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts war die konstruktive Schule der Zürcher Konkreten der zweite wichtige Beitrag der Limmatstadt zur Kunst der Welt. Den Pulsschlag aufzunehmen war Brigitta Malche hierher gekommen. Die Grundsätze der konstruktiven und konkreten Gestaltung waren die Pfeiler ihrer Welt.
Aber dann kam plötzlich alles anders. 1980 übersiedelte Brigitta Malche mit ihrem Mann für zwei Jahre nach China. «Hineinkatapultiert in ein ganz anderes Weltbild!» Das Riesenland steckte noch immer in den Nachwehen der Kulturrevolution. «Nachkriegszeit» nennt Brigitta Malche die Epoche, vergleichbar mit der Nachkriegszeit, die sie in Wien erlebt hatte. Versorgungsmängel, ein Land im Umbruch und im Aufbruch. «So hat mich dort meine Vergangenheit eingeholt.» Die Suche nach neuer Orientierung der Chinesen bewegte die Österreicherin, die mittlerweile längst Schweizerin war. Ein Land wie ein riesiges Gedankenlaboratorium.
Umbruch in China China als Kulturschock. «Dort bin ich vom Konstruktivismus weggekommen. Denn eine solche Kunst hat mit dem, was ich dort erlebte, nichts zu tun. Mein ganzes westliches, rationales Denken ist zusammengebrochen.» Und weil sie sich der neuen Erfahrungen und Einflüsse nicht erwehren konnte – sie wollte ja offen sein für die neuen Impulse – musste sie sich neu definieren. Brigitta Malche war eingeladen, Vorlesungen an der Kunstakademie in Peking zu halten. Und da ihr die totalitär verordnete Ästhetik des Sozialistischen Realismus höchst suspekt war, kritisierte sie die bildnerischen Hymnen auf die «Mutige Traktorfahrerin» und den «Unerschütterlichen Streckenwärter im Schneesturm» auf dem Umweg über die Malerei des deutschen Faschismus. Die Kunst der Nazis zu kritisieren war erlaubt. Dass sie damit aber auch die revolutionäre Kunst Chinas mit ihrem kitschigen Pathos meinte, das hörten nur die Hellhörigsten heraus.
Brigitta Malche war im Land, in dem die Kalligraphie als höchste Kunst über der Malerei stand. Das aus Europa mitgebrachte Gerüst der Werte geriet ins Wanken. Die Verunsicherung wuchs noch, als sie in Peking die erste Ausstellung amerikanischer Kunst in China sah. Sie hatte sich gefreut, in der Fremde wieder einmal vertraute Kunst zu sehen. Aber: All die großen Namen, die im Westen fast schon Idolcharakter haben, Warhol, Rauschenberg, Stella, Oldenburg, – erschienen ihr fragwürdig, schal. In der chinesischen Umgebung gab sich ihr die Westkunst als narzisstisches Kreisen um die eigene subjektive Person zu erkennen, sie enthüllte ihre Ziellosigkeit, das Fehlen allen Strebens nach verbindlichen Lösungen. Der Künstlerin schienen die eigenen Wurzeln gekappt, und neue hatte sie in Asien noch nicht schlagen können.
Den Weg nochmals gehen Nach der Rückkehr aus China musste Brigitta Malche – um ihr künstlerisches Wertesystem zu retten – den ganzen bisher gegangenen Entwicklungsweg noch einmal gehen: Die Überwindung des Akademismus, das Erarbeiten der Prinzipien konstruktiver Kunst, den eigenen Platz suchen im Feld der ästhetischen Forschung. Und da in der Welt der Konstruktivisten jeder Stilwandel als Sakrileg geahndet wird, musste Brigitta Malche auch Kontakte zu neuen Sammlern und Galerien aufbauen. Im Laufe dieses Abenteuers fand sie sich wieder selber, der Weg, den sie da wiederholte, war lang: «Erst 1990 gelang es mir, Westen und Osten zusammenzubringen. Und daran arbeite ich heute weiter.» Und dann der entscheidende Satz, der die Erfahrungsfülle chinesischer Eindrücke ordnet: «Erst zurück in Zürich habe ich verstanden, was ich dort erlebt habe!» Das meditative Element Asiens geht nun auf in einem höchst zeitgenössischen Lichterlebnis.
Das schwarze Licht Ein Glücksfall: 1991 konnte Brigitta Malche ihre erste Lichtinstallation im Kunsthaus Zürich einrichten. Farbige Meditationsräume, deren Charakter von den Elementen bestimmt wird. Wenn sie vom Wandel ihres Künstlerbildes spricht, wirkt das wie ein Kommentar zu den atmosphärisch kompakten, sensitiven Lichträumen: «Früher hatte ich ein geradezu männliches Künstlerideal. In der Zeit des Umbruchs in China ist meine Kunst weiblich geworden. Alles löst sich auf.» Alles löst sich in Licht auf. Und da man Licht nicht greifen kann, kam nach sechs Jahren plötzlich das Bedürfnis auf, wieder «etwas in den Händen zu haben», ein Bild. So hat Brigitta Malche ihr Thema Licht in die Malerei übertragen. Nicht nur das eine Licht, das strahlt und glitzert, auch dieses andere, das schwarze Licht, das Brigitta Malche als das Schöpfungslicht deutet: Das Licht am Anfang – und jede andere Art von Licht ist ein Grad der Abweichung vom «Grundlicht», dem schwarzen. Und wo sie nun pflanzliche Elemente der Natur in ihre Bilder einbezieht, setzt sie diese den Einwirkungen von möglichen Lichtarten aus. Am einen Ende der Skala bleibt das Schwarze Licht. Es provoziert die Helle in unseren Köpfen, die Helligkeit vor unseren Augen. «Ohne Licht passiert nichts!», sagt sie am Ende meines Besuches.
Foto: Rara Coray