Zu Bildern von Brigitta Malche, 19.4.99
von Julian Schutting
Nach einem Telephonat mit Brigitta Malche, noch in Unkenntnis ihrer noblen Arbeiten: Wäre nicht nichtleicht zu schockieren einer, den allein schon die Ankündigung «Schwarzen Lichts» als einer möglicherweise zu neuen Schreibtischtaten inspirierenden Lichtquelle hinstrecken will, zumal er genau weiß, so genau, wie dass die Verneinung von Weiß Nichtweiß heißt: gutes Zureden, Brigitta Malche möge zur Verstörungsvermeidung dem Geist der Aufklärung verschworener Ausstellungsbesucher das «Schwarze Licht» genannte Bild um des Himmels oder Kosmos willen doch auf einen anderen Namen hören lassen, würde nichts fruchten, weil das Reich der Spekulationen, der Visionen und Privatoffenbarungen jedem Widerspruch sich verschließt als das, was dem darin Eingesponnenen einleuchtet, was ihm die Welt im Licht einer neuen Weltsicht, Weltbild genannt, erscheinen läßt und ihm eine Weltallschauung schenkt, die, ob sie nun Trübseligkeiten mit Hoffnungsstrahlen aufhellt oder auch nicht, genauso wenig vernünftig mit sich reden läßt wie Gefühle der leidenschaftlichen Kategorie Weiß und Nichtweiß sind, wie jedes Kind und daher auch die Erwachsene in der Künstlerin weiß, und sollte dem Schöpferischen in ihr davon noch so schwarz vor den Augen werden, kontradiktorische Begriffe, als solche bestimmt, einander zu negieren, als unvermeidbar auszuschließen, womit nicht gesagt sei, richtig als nichtweiß bezeichnete Blätter seien weißen Blättern feind, weil die als weiß nicht auch noch nichtweiß sind. Wozu das Erschrecken darüber, dass mir «Schwarzes Licht»?
Genanntes in Gestalt einer Ablichtung aus Zürich zufließen (also:) zugehen wird, bloß weil Ablichtung schwarzen Lichts nicht ein SchwarzWeißNegativ, auf dem sich, Weiß auf Nichtweiß, das Licht der Welt getrost zum Schreibtisch tragen ließe? Oh, du lieber Schreck, schwarzes Licht! ach, hätte sich die Künstlerin doch zu kontradiktorisch Nichtweißem an Licht bequemt aus Rücksicht auf meine nichtschwere Schockierbarkeit, siehe auch weiße und schwarze Magie! sie aber beschwört zu Weiß den in Bezug auf Licht mir unaussprechlichen konträren Begriff hervor, wohl weniger aus dem Erdesdunkel als aus dem schwarzen Weltallsloch, wiewohl konträre Begriffe, da ja ein Drittes, ein Mittleres zwischen ihnen möglich ist, einander weniger schroff gegenüberstehen als unvereinbar negieren einander Weiß und Schwarz, aber für das im diskordanten, im uneinigen Begriff Verneinte bleibt etwas Positives erhalten: weiß oder nichtweiß, aus: keine Farbe kann zum Mittelbegriff werden, pflegt ja in den Umfang des Begriffes Nichtweiß einzugehen, aber jeder Begriff des Paares WeißSchwarz (vorausgesetzt, man betrachtet Schwarz als eine Farbe, wie beispielweise Beckmann oder Matisse) geht in den Umfang des subordinierten Begriffes Farbe ein, füllt ihn aber nicht voll aus, siehe das Diagramm der kontradiktorischen Begriffe Weiß und Nichtweiß in der Menge aller Farben und das Diagramm des konträren Begriffspaares WeißSchwarz in der Menge aller Farben … entweder ist etwas weiß oder nichtweiß, was also als weiß festgestellt wurde, kann nicht zugleich auch schwarz sein. Wohl aber können sich konträre Begriffe, über ein und dieselbe Klasse von Gegenständen genommen, zu ein und derselben Zeit und in ein und derselben Beziehung als falsch erweisen, da ja zwischen ihnen ein drittes, ein Mittleres möglich ist. Die Begriffe heller Stern und schwacher Stern lassen auch Sterne zu, deren Leuchtkraft nicht sehr hell, aber auch nicht sehr schwach ist, zum Beispiel die von Astronomen der Leuchtkraft nach als ein mittlerer Stern klassifizierte Sonne. Sonne, du Trost eines, der die Ankündigung von Schwarzem Licht noch im Ohr hat! So könnte beispielsweise ein Student der Physik bei seinem Rigorosum sagen: Ich kann die Sonne als einen absolut schwarzen Körper auffassen! im Vorgenuss weniger des Nickens des Prüfers als des Zusammenzuckens des Kommissionsvorsitzenden Geisteswissenschafters. Ja, das schwarze Licht, das mich ja noch fern seiner Ansichtigwerdung und dem Aufatmen angesichts seiner, wie ein Blitzstrahl aus heiterem Himmel hinstrecken möchte, da die Künstlerin mir dasselbe am Telephon auch noch zu einem relativen Begriff macht: Zuallererst, am Anfang, sei das schwarze Licht gewesen! Da hast du nun also gewissermaßen einen schwarzen LichtVater vor dir (siehe Urlicht), der irgendwann dann (ich weiß es ja nicht) dem weißen Lichtsohn wich, sofern der ihn nicht vom Throne stieß und geboren ward aus dem Finsterlicht, es kann einem nämlich auch Goethe im Kopf herumspuken, womit nicht der gemeint sei, der es aus ästhetischphilosophischer Verranntheit nicht hinnehmen konnte, dass so Reines wie weißes Licht zusammengesetzt sei aus dem, worein, Spektralfarben genannt, es zu zerlegen ist —Mephisto bestimmt sich bekanntlich so: Ich bin ein Teil des Teils, der anfangs alles war, ein Teil der Finsternis, die sich das Licht gebar —und läse man die zwei nächsten Verse nicht weiter: das stolze Licht, das nun der Mutter Nacht den alten Rang, den Raum ihr streitig macht, so ließe sich die zweite Aussage vom Weißen ins Schwarze verkehren: Ich bin … Ein Teil der Finsternis, die sich das Licht gebar —für sich allein betrachtet, ist das zweideutig, wenn nicht doppelsinnig: das Licht kann ja auch Subjekt sein, muss nicht Objekt sein: dann ist es das Licht, das sich (wen oder was?) das sich die Finsternis geboren hat: Ein Teil der Finsternis, die sich wer oder was geboren hat? die sich das Licht gebar. Und dass mir das Schwarze Licht den Goetheschen Faust herbeibeschworen hat, ist was sonst als ein Kompliment an Brigitta Malche also der dämonischnachtseitige Wesensteil des ansonsten so klaren Goethe hätte sich in Brigittas Bildern geborgen gewusst: ein jedes ihrer kosmischen Bilder (also ich sage lieber: Sternenbilder) wäre ihm willkommen gewesen als eine Projektion an den Himmel seines den Erdgeist beschwörenden Faust als Sichtbarmachung seines Verlangens zu erfahren, was die Welt oder auch das Weltall im Innersten zusammenhält. Und sie, Brigitta Malche, hätte ihn in schwarzes Licht tauchen müssen, den Widergeist, der zwar stets kontradiktorisch und konträr verneint, aber letztlich weißes Licht schafft. Und dem Faust wäre so manches MalcheBlatt eine Unterstützung gewesen in den sinnlosen Fragen, ob am Anfang das Wort war oder die Kraft und vielleicht hätte er aus dem einen und anderen Blatt einen Weltenschöpfer herausgelesen, welchem als erster Gedanke ein: Es werde Licht! entspringt.
Verkleinerungen Brigitta Malches Arbeiten könnte Faust auf seinem Schreibtisch vor sich liegen haben und sie als jahrhunderte und jahrtausendealte Geheime Offenbarungen studieren, als Kosmogonien, aber auch als Prophezeihungen, welche Erd und Himmelszeichen dem Erlöschen vorangingen des Alls, und er könnte anhand dieser dem Wüstenboden oder Erdengründen entrissenen Blätter den Mikrokosmos als ein Gleichnis des nämlichen Makro bebrüten. Und Goethe, dem Entdecker des Zwischenkieferknochens, wäre es vergnüglich gewesen, Exegesen anzustellen, warum so Zerbrechliches und meisterlich Gebautes wie ein Wirbelkörper den Himmelskörpern sich entgegenstellt oder wären diese Knochen Funde, aus dem All mitgebracht auf die Erde, Relikte der eingesternten Götter Venus und Mars? Und so wüsste er so manches der Natur abgelauschte Bildzeichen als Schriftzeichen zu lesen, hinterlassen wie auf Papyrus, wie auf heiligen Pergamenten.
Auf der Reproduktion eines laut Aufdruck auf der Hinterseite dreiteiligen und «Lumen nigrum» genannten Bildes sieht man in heutiger Blockschrift, also mit Schablone geschrieben oder hingestempelt, das Wort Lumen dastehen, einem entgegenstehen wie ein Lawinenzaun, sofern man es nicht, wie aufs Straßenpflaster gesprüht, einem Gebetsteppich, einer Kirchenfahne zugehörig ansieht, etwa zur Rückholung all der von politischer und ökonomischer Propaganda missbrauchten Wörter in die Besinnung. Lumen, siehe Lumen Christi, das Wort ist da und sei, so man will, aus Lichtgottes Höhen ins Halbdunkel herabgestiegen und wisse sich bei uns wohnen, als ein klarer Begriff, wie vielerlei laut Sprachgebrauch «Lumen» auch einschließt: Licht, Kerze, Fackel; Tageslicht, Leben(slicht); Augenlicht, Auge. Fenster, Glanzpunkt, Zierde, Schmuck, Glanz; Rettung, Heil wie ja auch die Kirchenväter lumina ecclesiae gerühmt werden. In einer Schattenschrift, in einer Ascheschrift, asphaltfarben wie erloschene Sterne und Lavagestein, steht dieses Wort da, für mich siehe «Krieg der Sterne» an einem Kriegsschauplatz, aber der Pulverdampf und Ascherauch wird sich bald in die Mondkrater verzogen haben: Es liegt schon etwas von dem von Leonardo da Vinci geschätzten und kultivierten rauchigen Licht, sfumato, wenn ich nicht irre, darüber in der Luft will damit sagen: wer als ein Kind von weißen Schimmeln und schwarzen Negern begeistert war, mag seine Freude daran haben, in Riesenschrift ein Wort wie Licht aus tausenden Glühbirnen oder Kerzenflammen zusammengesetzt zu sehen, das Wort «Licht», in Leuchtschrift oder von Leuchtstoffröhren geschrieben, das Portal eines Lampengeschäftes zieren zu sehen, aber auch er käme nie auf den Gedanken, aus dem aus schwarzer Kohle zusammengesetzten, von dem mit schwarzer Kohle hingeschriebenen Wort «Licht» die Existenz von schwarzem Licht behauptet oder gar beglaubigt zu sehen — «Licht» zu lesen, und der alle Sorten von Licht einschließende Begriff ruft uns als ein Stellvertreter dessen, was wir eben «Licht» nennen, die Bedeutung von Licht ins Gedächtnis, nämlich nach abgeschlossenem Spracherwerb so ökonomisch, dass wir uns das Gemeinte nicht mit imaginiertem Licht illuminieren müssen —stellen uns spezielles «Licht» aber vor, wenn wir ein fremdsprachiges Wort für Licht allmählich aus dem Zusammenhang begreifen, da schoss plötzlich Licht in den Nachthimmel auf, da drang Licht durch die schwarzen Wolken … Lumen, das ist Licht, und die Vokabel wird uns ganz licht, genauso wie ein aus schwarzen, mit Benzin durchtränkten Fetzen geformtes Bild — und Wortzeichen «Lumen nigrum», kaum dass unser Blick auf es trifft, wie mit brennenden Pfeilen beschossen hell erstrahlt, nach einer den Bruchteil einer Sekunde ihm eingeschrieben gewesenen Sonnenfinsternis: schon ist hinweggenommen die Erloschenheit der Sterne, Lumen nigrum, und über die Buchstaben, schwarz wie Kalkgebirge in sternloser Nacht, streicht die Aurora hin, sieh nur ihr Alpenerglühen in dem Moment, wo einem auch schon gedämmert ist, was lumen nigrum wortwörtlich bedeuten will —Licht bleibt Licht, also licht, wie Fisch nicht gleich Tisch, und wäre einem Tisch die Etikette Fisch beigegeben, einem Fisch «Tisch» eintätowiert!
Im Übrigen verheißt uns kein Geringerer als Stephan Hawkings Weltneuigkeiten mit der Feststellung, die schwarzen Löcher seien nicht ganz schwarz. womit nicht gesagt sei, er sei drauf und dran sich Brigitta Malches Schwarzem Licht anzubiedern. So ein schwarzer Himmel! oder auch: So ein Schwarzes Licht seinen Schrecken, wie dessen lateinische Version ihn zu mildern versteht. Und bitte! Sie kennen vermutlich das von Friedrich Torberg und Freunden ersonnene Spiel, in welchem ein Prüfer falsche Antworten eines erzherzöglichen Prüfungskandidaten ins rechte Licht zu rücken hat: Wie lange, kaiserliche Hoheit, dauerte der dreißigjährige Krieg? Dreizehn Jahre! Vollkommen richtig! Erstens wurde nur bei Tag gekämpft, macht fünfzehn Jahre, zweitens etcetera —und man fragt sich, welche Fragen da noch so in Frage kämen — Was, Prinzessin Brigitta, hat es beispielsweise vor Tier und Mensch gegeben? Schwarzes Licht? Ganz richtig! Strahlung lässt sich auch Licht nennen, siehe die Bezeichnung ultraviolettes Licht, und daher strahlt ein Mikrowellenherd als ein schwarzer Körper was sonst als schwarzes Licht aus! Und, Prinzessin, wenn die Aussage: Das Fell ist nichtweiß! falsch ist, was ist dann wahr? Das Fell ist schwarz! Hoheit haben ganz recht — in der Nacht sind alle Katzen schwarz, nur die mit Infrarotlicht bestrahlten sind weiß!
Wollte also Goethes Faust Brigitta Malche in Abänderungen seiner Spekulationen folgen, um Bildern die Ehre zu erweisen, deren Spekulatives so vollkommen im Akt der Bildwerdung verglüht ist, dass einen nur die Bildbeschreibungen, das heißt die Ausplauderungen der dunklen Antriebe der Künstlerin durchschauern, einen in seinem Wohlgefallen als Bildbetrachter aber nicht zu kümmern haben und daher auch nicht bekümmern können, zumal in der Kunst noch immer nur das Resultat zählt und nicht die Intention? würde Faust also seinen Monolog dahingehend modifizieren: «Am Anfang war die kosmische Energie? Am Anfang war die Wort und Zahlenmagie, Licht und Masse oder so irgendwie!? das Schöpfungslicht der islamischen Mystik und am Ende — nach der Übergangszeit des Lumen Christi —das von Luzifer in uns hineingetragene Aufklärungslicht?»
Dem Rätselcharakter der Kunst halten ihre Bilder die Treue, und dem tut keinen Abbruch, dass ein Kunstexperte, wohl nicht recht wissend, was Zahlenreihen, was rationale und irrationale Zahlen sind, als ein Beispiel für Brigitta Malches «streng rationale Zahlenreihen» was anführt? dass sie uns die Lichtgeschwindigkeit im leeren Raum verrät, also zu einem schönen Bildelement gemacht hat eine der in jedem Kinderlexikon enthaltenen Weisheiten —und was wäre schon mit dem «internationalen Sprachschatz der Lichtmystiker und Naturwissenschaftler», außer einem nicht kratertiefen Unbehagen über solche Verquickungen von zweierlei, wären daraus nicht Bilder geworden, die nicht im Traum daran denken, Redewendungen wie «keine Ahnung haben» oder «Ahnungen folgen» zu illustrieren haben schon im Entstehen alle (Verzeihung:) abstruse Metaphysik von sich gestoßen, triumphieren über Glaubenswelten, wie es sich für die Kunst gehört. Aber hätte sich Brigitta Malche nicht ins Kosmische verstiegen, gäbe es diese großartigen Bilder nicht!
P.S: In einer der norwegischen Juninächte, in denen die Sonne am Himmel verharrt, als wäre sie am mittleren Nachmittag, weiterhin lebhaft leuchtend, wandermüde eingeschlafen, inmitten dieses taghellen Nachtlichts auf ein Zitat aus Amundsens Tagebuch von der Antarktis zu stoßen —und also, während er sich über eine der schiffsbreiten Gletscherspalten beugt, vor sich zu haben ein Bild, das Brigitta Malche gemalt haben könnte (und möglicherweise nun malen wird, in ihren Ansichten durch seine unmittelbare Anschauung voll bestätigt: «so verwandelt sich das hellblaue Licht in unergründliches Schwarz»)